Das terrestrische Antennenfernsehen erfindet sich derzeit neu
mit geänderter Empfangstechnik und TV-Maut für Private
Seit heute ist beim terrestrischen Fernsehempfang nichts mehr so wie es bis dato war. Das alte DVB-T wurde abgeschaltet und durch das effizientere System DVB-T2 ersetzt.
Ausgelöst wurde das Vorhaben durch die Neuaufteilung des UHF-Frequenzbandes. Die bisher nutzbaren TV-Kanäle oberhalb von Kanal 49 wurden den zahlreichen Mobilfunkanbietern für ihre Übertragungen im LTE-Standard zugesprochen. Für die dort übertragenen Fernsehprogramme benötigt man deshalb anderweitig Platz auf den noch verbleibenden UHF-Kanälen. Es müssen nun auf begrenztem Raum mehr Programme übertragen werden. Darum ist es durchaus verständlich, wenn ein Komprimierungsverfahren Anwendung findet, bei dem noch mehr Inhalte in einen einzelnen Fernsehkanal passen. Der akzeptable Vorteil dieses Verfahrens ist die dabei mögliche Nutzung des HD-Signals für alle Programme hinsichtlich moderner Flachbildschirme.
Für jeden terrestrischen Fernsehteilnehmer bedeutet die Umstellung erst einmal, daß er einen neuen Receiver benötigt und seinen alten als Sondermüll entsorgen muß. Flachbildgeräte, die älter als 1 Jahr sind, können zwar DVB-T2 verarbeiten, sind aber für den zwischenzeitlich festgelegten Standard H.264/HEVC nicht mehr geeignet. Auch hier braucht man zwingend einen zusätzlichen Receiver.
Vielleicht wäre zu einfach gewesen, wenn die Verbreitung des Überall-Fernsehens in seinem gewohnten organisatorischen Rahmen geblieben wäre. Während ARD und ZDF wirklich nur die Empfangsnorm ändern, verfolgen die großen privaten Anstalten RTL und ProSiebenSAT.1 in Zusammenarbeit mit dem Sendedienstleister Freenet knallharte kommerzielle Eigeninteressen. Ihre Programme sind nur noch gegen eine sogenannte "Infrastrukturgebühr" zu empfangen. Diesen Begriff kennt man aktuell auch im Zusammenhang mit der PKW-Maut. Der kleine rechtliche Unterschied zum Pay-TV liegt darin, daß nicht an einen Programmanbieter direkt gezahlt wird.
Schon beim Kauf eines neuen Receivers beginnt ein Verwirrspiel, da derzeit die verschiedensten Modelle und Typen auf dem Markt erhältlich sind: Geräte mit ausschließlich grünem "DVB-T2 HD"-Logo empfangen nur die öffentlich-rechtlichen Programme. Das ist die Grundvoraussetzung beim jedem Neukauf. Wer auch die Privaten sehen und abonieren möchte, benötigt ein Gerät, das zusätzlich mit dem "freenet TV"-Logo gekennzeichnet ist. Es besitzt einen Kartenschacht für ein CIModul, in das die Entschlüssungskarte eingesteckt wird.
Die nächste Überraschung wartet dann bei der Inbetriebnahme des Receivers. Nach Durchführung des eines ersten Sendersuchlaufes erscheint eine Vielzahl an Programmnamen, denen in Klammern das Wort "connect" folgt. Hierbei handelt es sich um Programme und Dienste des HbbTV, die im Streaming-Verfahren aus dem Internet auf den Bildschirm hochgeladen werden können. Dazu dient ein Receiver, der außer "DVB-T2 HD" und "freenet TV" auch "freenet TV connect" darstellen kann. Eine entsprechend leistunsgsfähige Internetverbindung vorausgesetzt.
Gott sei Dank bleibt es noch jedem Nutzer selbst überlassen, welche Auswahl an Programmen er ab jetzt für sich favorisiert. Wichtig zu erwähnen ist, das die Freenet TV-Gebühr von 69 €/Jahr für jedes einzelne Empfangsgerät, egal ob TV oder Receiver, zu entrichten ist. Eine Abgabe bezogen auf den gesamten Haushalt oder auf eine Wohnung gibt es nicht. Auch eine Gebührenbefreiung ist nicht möglich. Gerade sozialschwache Haushalte werden so vom Zugang zu bestimmten Angeboten auf dem terrestrischen Wege ausgeschlossen.
In diesem Zusammenhang sollte jeder Fernsehteilnehmer wissen, daß sich im Jahr 2022 auch die derzeit letzte Möglichkeit des privaten Free-TVs schließt, wenn die SD-Signalübertragung auf dem ASTRA-19,2°-Satelliten endgültig abgeschaltet wird. Spätenstens dann schnappt die "Mautfalle" auf allen Verbreitungswegen zu. Dort heißt das Zauberwort heute bereits "HD+" für 60 €/Jahr/Gerät.
Ob die Rechnungen des Freenet-Konsortiums und von HD+ tatsächlich aufgehen, bleibt abzuwarten. Nur ein erheblicher Zuschauerschwund könnte die auf den Verkauf von Werbung angewiesenen Branchenriesen zum Umdenken zwingen. In Großbritannien war übrigens der gleiche Spuk nach drei verlustreichen Jahren vorbei.