Die NRW-Lokalradios sollen funktional regionalisieren

Anfang 2024 hat die Landesanstalt für Medien (LfM NRW) ein medienökonomisches Gutachten auf den Weg gebracht, weil das landesweite private Lokalfunk-System in NRW in eine bestandsbedrohlich wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Die Ergebnisse wurden im Dezember von der Medienkommission öffentlich erörtert. Die Konsequenzen daraus könnten in struktureller Hinsicht erheblich sein.
Die LfM hatte bereits 2023 alle am Lokalfunk beteiligten Veranstalter und Betreiber dazu aufgefordert, im ersten Schritt zu einer Konsolidierung einen sogenannten Überlagerungsvertrag zu unterzeichnen. Dabei geht es um Einsparungen von Ressourcen wie Sendestunden, Planstellen und Mitarbeitern, die für ein erfolgreiches Programm entscheidend sind. 7 Lokalradios haben bisher noch nicht zugestimmt. Die endgültige Frist läuft am 31.01.2025 ab. Im Falle des Scheiterns der aktuellen Bemühungen zur Stabilisierung wurde mehrfach mit Maßnahmen gedroht, die die LfM als Aufsichtsbehörde notfalls für die Rettung des Systems ergreifen würde.

 

Die Ergebnisse des Gutachtens im Einzelnen:

Das Gutachten unterteilt NRW in 9 Cluster (Sektoren). 7 davon orientieren sich an den Ausbreitungsgebieten der dienstleistenden Servicegesellschaften, 2 an den Verbreitungsgebieten von 2 Lokalradios. Als Anforderungsprofil wurde festgelegt, daß der zu erwartende monetäre Gewinn eines Clusters vor Steuern und Zinsen, die sogenannte EBIT-Quote, 10% betragen sollte, bei unter 5% wäre keine Tragfähigkeit mehr gegeben. Vom Betrachtungszeitraum der vergangenen Jahre aus wurden die Werte für das Jahr 2027 prognostiziert. Clusterintern steht jeder für die anderen ein.
Das Fazit dieser Ermittlungen: Selbst wenn alle Sender die mit dem Überlagerungsvertrag einhergehenden Aufgaben einhalten, wäre die Wirtschaftlichkeit des Lokalfunks nicht dauerhaft gesichert. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, soll ein zusätzlicher Prozess dem System mehr Bestandskraft verleihen. Deshalb wird als notwendige Lösung ein Strukturmodell regionaler Funkhäuser mit gemeinsamer Produktion und Redaktion angestrebt, so daß der aufwendige Betrieb eines Sendestudios vor Ort in vielen der 45 Verbreitungsgebiete entfallen kann.

 

Fusionsszenario 1:
Im Erscheinungsbild bleiben die Lokalradios auch aus einem Funkhaus heraus autark, mit jeweils eigenen Jingles, eigenen Online-Auftritten und rechtlich mit den bestehenden Veranstaltergemeinschaften.

Folgende Zusammenlegungen sind vorgeschlagen:  (14 Gebiete)
-  Radio Westfalica, Radio Herford, Radio Lippe, Radio Hochstift
-  Radio Gütersloh, Radio WAF
-  Antenne Münster, Radio Kiepenkerl
-  Radio Lippewelle Hamm, Hellweg Radio Soest, Radio MK
-  Radio 91.2 Dortmund, Antenne Unna
-  Radio Hagen, Radio Sauerland
-  Radio Bochum, Radio Herne
-  Radio Essen, Radio Mülheim, Radio Oberhausen, Radio Emscher Lippe
-  Radio Duisburg, Radio K.W.
-  Antenne Niederrhein, Welle Niederrhein
-  Radio 90,1 Mönchengladbach, NE-WS 89.4 Neuss
-  Antenne Düsseldorf, Radio Neandertal
-  Radio Wuppertal, Radio Ennepe Ruhr
-  Radio Köln, Radio Berg

Eigenständig bleiben demzufolge:  (12 Gebiete)
-  Radio Bielefeld
-  Radio RST
-  Radio WMW
-  Radio Vest
-  Radio Siegen
-  Radio RSG
-  Radio Leverkusen
-  Radio Erft
-  Radio Bonn/Rhein-Sieg
-  Radio Euskirchen
-  Radio Rur
-  Antenne AC

Trotzdem liegen in Summe noch 4 der 9 Cluster, also knapp die Hälfte, unterhalb der 10%-Marge, 2 davon sogar unter 5%.

 

Fusionsszenario 2:
Dieses Szenario geht noch einen Schritt weiter. Es nimmt auf die Ausbreitungsgebiete der Servicegesellschaften keine Rücksicht mehr und kein Lokalradio bleibt eigenständig. Man kommt aber zu einer Struktur, die langfristig überlebensfähig und profitabel ist.

Folgende 16 Produktionseinheiten werden vorgeschlagen:
-  Radio Westfalica, Radio Herford, Radio Lippe, Radio Hochstift
-  Radio Bielefeld, Radio Gütersloh, Radio WAF
-  Antenne Münster, Radio RST, Radio Kiepenkerl
-  Radio WMW, Radio Vest
-  Radio 91.2 Dortmund, Antenne Unna, Radio Lippewelle Hamm
-  Hellweg Radio Soest, Radio Sauerland
-  Radio MK, Radio Siegen, inklusive dem Kreis Olpe (bisher ohne Lokalradio)
-  Radio Bochum, Radio Herne, Radio Ennepe Ruhr, Radio Hagen
-  Radio Essen, Radio Mülheim, Radio Oberhausen, Radio Emscher Lippe
-  Radio Duisburg, Radio K.W.
-  Antenne Niederrhein, Welle Niederrhein
-  Radio 90,1 Mönchengladbach, NE-WS 89.4 Neuss
-  Antenne Düsseldorf, Radio Neandertal
-  Radio Wuppertal, Radio RSG
-  Radio Köln, Radio Erft, Radio Leverkusen, Radio Berg, Radio Bonn/Rhein-Sieg
-  Antenne AC, Radio Rur, Radio Euskirchen, inklusive dem Kreis Heinsberg (ehemals Welle West)

Ob die Lokalradios dann zu Regionalradios mit neuem Namen verschmelzen, sei dahingestellt. Manche Einheiten sind derart zusammengewürfelt, daß sie bei DAB+ die festgelegten Grenzen der Regionalmuxe überschreiten, was die Verbreitungspflicht eines solchen Programms in 2 Alloments zur Folge hat. Das beträfe ein Radio WAF/Gütersloh, Antenne/Welle Niederrhein und den Kreis Heinsberg. Oder werden im Zuge dessen die Allomentgrenzen verschoben, um die nicht gewünschten Zusatzkosten zu vermeiden?

 

Resümee:

Die beiden Szenarien sind nicht in Stein gemeißelt. Möglicherweise kommt es noch zu Bewegungen und Abweichungen, da die Stellungnahmen der Betroffenen keine Berücksichtigung fanden. Wenngleich die o.g. Vorschläge einen hohen Stellenwert bei der tatsächlichen Zusammenlegung haben.

Vermutlich läuft es auf einen Mix aus beiden Varianten hinaus:  (ohne Gewähr!)
-  Radio Westfalica, Radio Herford, Radio Lippe, Radio Hochstift
-  Radio Bielefeld
-  Radio Gütersloh, Radio WAF
-  Antenne Münster, Radio RST
-  Radio WMW, Radio Kiepenkerl
-  Radio Vest
-  Radio 91.2 Dortmund, Antenne Unna
-  Radio Lippewelle Hamm, Hellweg Radio Soest
-  Radio MK, Radio Sauerland, inklusive dem Kreis Olpe (bisher ohne Lokalradio)
-  Radio Siegen
-  Radio Hagen, Radio Ennepe Ruhr
-  Radio Bochum, Radio Herne
-  Radio Essen, Radio Mülheim, Radio Oberhausen, Radio Emscher Lippe
-  Radio Duisburg, Radio K.W.
-  Antenne Niederrhein, Welle Niederrhein
-  Radio 90,1 Mönchengladbach, NE-WS 89.4 Neuss
-  Antenne Düsseldorf, Radio Neandertal
-  Radio Wuppertal, Radio RSG
-  Radio Köln, Radio Erft, Radio Leverkusen, Radio Berg
-  Radio Bonn/Rhein-Sieg, Radio Euskirchen
-  Antenne AC, Radio Rur, inklusive dem Kreis Heinsberg (ehemals Welle West)

 

Die Medienkommission fasste aufgrund des Gutachtens folgende Beschlüsse:

Der Direktor der LfM, Dr. Tobias Schmid, legt dem Gremium im Frühjahr 2025 die potenziellen neuen Verbreitungsgebiete auf Basis der Empfehlungen des Gutachtens gemäß Fusionsszenario 1 zur Beschlussfassung vor.
Sofern Veranstaltergemeinschaften den Überlagerungsvertrag nicht bis zum 31.01.2025 unterschrieben haben, wird die LfM in diesen Fällen eine Zusammenlegung auf Basis der beschriebenen Festlegungen herbeiführen. Davon können dann zwangsläufig auch Verbreitungsgebiete, deren Veranstaltergemeinschaften den Überlagerungsvertrag unterschrieben haben, betroffen sein, um ein entsprechendes wirtschaftlich tragfähiges Gebiet zu ermöglichen. Anstehende Zulassungsverlängerungen werden nur noch im Einklang mit diesem Vorhaben erteilt.
Generell wird im Rahmen jeder Zulassungsverlängerung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Senders anhand von definierten Kriterien bzw. einer verbindlichen Finanzierungszusage der Gesellschafter evaluiert. Entscheidungen über Verlängerungen werden an das Ergebnis der Prüfung geknüpft.
Im Übrigen wird der Direktor aufgefordert, die Lizenzen aller Sender zeitlich so zu synchronisieren, daß erforderliche Zusammenlegungen ohne Verzug ermöglicht werden.

 

Zeitplan und Aussichten:

Es geschieht demnächst also einiges. In den kommenden Jahren laufen die Zulassungen von 40 NRW-Lokalradios aus. Anstatt die Genehmigungen wie gewohnt um 10 Jahre zu verlängern, sollen diese nur bis zu einem gemeinsamen Stichtag gewährt werden. Die LfM führt in 2027 ein einheitliches Zulassungsverfahren durch, einschließlich einer weiteren wirtschaftlichen Prüfung. Dort, wo sie unausweichlich ist, kann so die Strukturreform stattfinden.

 

Anmerkung:

Worum es bei aller Rentabilität und Nachhaltigkeit leider nicht geht, ist der Aspekt, auch die realen Kultur- und Lebensräume der Hörer als Zielbereich erkennbar abzubilden. Von einem entsprechend angepaßten Neuzuschnitt der jetzigen Verbreitungsgebiete in der Fläche, bei dem durchaus das eine oder andere aufgeteilt werden und wegfallen könnte, ist nicht die Rede, böte aber weiteres Sparpotential. Landkreise wie Neuss, Mettmann, Ennepe-Ruhr oder Unna sind im Grunde nur Schlafstätten mehrerer benachbarter Zentren. Ein Festhalten an politischen Gebietskörperschaften als Ganzes ist nicht mehr zeitgemäß. Als Beispiel sei die Stadt Gladbeck genannt (Kreis RE, aber Radio Emscher Lippe). Das Manko ist, daß jedes Kreishaus seinen zusammenhängenden Kommunikationsraum behalten will, wie es die Gründerväter des Systems initiiert haben. Gerade in diesem Fall könnten sich Verbreitungsgebiete bei der informellen Versorgung auch überlappen, was sie bislang nicht dürfen. Besonders Großstadtradios sollten von einer Ausdehnung auf das Einzugsgebiet ihrer Stadt profitieren. Es kann und darf nicht mehr sein, daß direkt angrenzende Kommunen weiterhin durch das Landesmediengesetz (LMG NRW) von der Berichterstattung ausgeschlossen werden, nur weil sie nicht zu dem dort festgeschriebenen Verbreitungsgebiet gehören.

 

Auswirkungen auf DAB+:

Die demnächst ausgestrahlten regionalen Multiplexe werden wie geplant mit allen 45 Lokalradios starten. Der Hörer wird von der Strukturreform vordergründig nichts mitbekommen. Der im Gutachten benutzte Begriff „Fusion“ ist irreführend. Keines der Radios muß und wird seine Eigenständigkeit deswegen aufgeben. Die in einem Funkhaus zusammenarbeitenden Lokalradios könnten allerdings damit beginnen, ihre Programme, neben dem landesweiten Rahmenprogramm von Radio NRW, einander anzugleichen und gemeinsame Sendestrecken anzubieten. Quasi ein Programm aus einem Guss, aber in lokalen Varianten. Auch die LfM möchte die gegebene Vielfalt der Angebote möglichst erhalten.
Niemand kann indes ausschließen, daß es in Zukunft zu echten Fusionen innerhalb der Funkhäuser kommt. Voraussetzung dafür ist die Auflösung der einzelnen Veranstaltergemeinschaften und die Etablierung eines gemeinsamen Gremiums, welches dann eine Lizenz für das neue Regionalradio erhält. Für die Betreiber der Multiplexe bedeutet dies unter Umständen ein unkalkulierbares Ausfallrisiko bezüglich der Belegplätze und damit der Auslastung.

 

(Quelle: Goldmedia GmbH Strategy Consulting, LfM NRW)