Die Geschichte unserer Region - Teil 3
Das Herzogtum Sachsen
Aus dem 9. Jh. ist überliefert, daß ein sächsischer Graf Ekbert die spätere Heilige Ida von Herzfeld heiratet und angeblich noch von Karl dem Großen zum Herzog der Sachsen zwischen Rhein und Weser ernannt wird. Da seine Nachkommen sich karolingischer Herkunft rühmen, wird seine Frau Ida mit Karl d.Gr. verwandt gewesen sein. Es ist anzunehmen, daß Ekbert erst nach dem Tode Karls seine herzogähnliche Stellung dadurch erlangt, als der eingesetzte Oberbefehlshaber des sächsischen Heeres, Graf Wala, zusammen mit seinen Brüdern durch Frankenkaiser Ludwig den Frommen gezwungen wird, Mönch zu werden. Ekberts Sohn Cobbo I. hat eine herausragende Stellung und führt nun 845 im Auftrag Ludwigs d.Fr. das sächsische Heeresaufgebot gegen die Normannen an, die zuvor die Hammaburg (= Hamburg) erobert haben.
852 gründet ein Liudolf (gilt später als Stammvater des Geschlechts der Ottonen) das Kloster Gandersheim. Es wird angenommen, daß er ein Sohn oder ein Enkel des Ekbert ist, der das Herzogsamt zwischen Rhein und Weser innehat. Liudolf wird als Herzog von Ostfalen, vereinzelt aber auch ohne diese Einschränkung, tituliert. Er ist mit der Tochter eines fränkischen Fürsten Billing verheiratet, was zum Muster der karolingischen Amtsträger in Sachsen paßt. 866 stirbt er.
Die Stellung der Liudolfinger in Sachsen verstärkt sich, als Liudolfs Tochter Liutgard den Karolinger Ludwig den Jüngeren, Sohn König Ludwigs des Deutschen, heiratet. Als Ludwig d.D. 876 stirbt, wird die Sächsin Liutgard neue Königin des gesamten Ostfränkischen Reiches. Vermutlich verdankt auch Brun, der älteste Sohn Liudolfs, es seiner königlichen Schwester, daß er als Herzog das sächsische Aufgebot gegen die Normannen führt, was ihn jedoch 880 das Leben kostet. Ob Herzog Brun nur über die Ostfalen gebietet oder seine Befugnisse weiter gehen, ist unbekannt.
Die Aufgabe, an der Herzog Brun gescheitert ist, übernimmt zunächst weder ein Nachkomme noch sein Bruder Otto. Ostfrankenkönig Ludwig d.J. hat bereits als Thronfolger 866 den Babenberger Grafen Heinrich als seinen neuen sächsischen Statthalter eingesetzt.
Als König Ludwig d.J. 882 erbenlos stirbt, übernimmt sein Bruder, Karl der Dicke, Herrscher des Westreiches, auch die Verwaltung des Ostreiches. Karl d.D. stützt sich auf den bewährten Feldherrn seines Bruders und ernennt ihn zum Herzog. Im Jahr 884 führt Heinrich die Sachsen erstmals gegen die Normannen. Er fällt 886 vor Paris, als sein Pferd in eine Fallgrube stürzt. Mit dem Verlust seines fähigsten Vasallen ist auch das Schicksal Karls des Dicken besiegelt.
Nun wird Bruns jüngerer Bruder Otto der Erlauchte doch noch neuer Herzog. Er ist der Schwiegersohn Herzog Heinrichs. Da er sowohl die Stellung seines eigenen Vaters Liudolf in Ostfalen als auch die seines Schwiegervaters in den anderen Teilbereichen Sachsens vereinigt, bildet sich unter Herzog Otto d.E. erstmals ein Herzogtum des gesamten sächsischen Stammesgebietes unter einem alleinigen Herrscher heraus.
Der Ansehensverlust der karolingischen Dynastie stärkt die Stellung aller Herzöge im Ostfränkischen Reich. Sie sind die eigentlichen Machtgewinner im Kampfe gegen die einfallenden Normannen und Ungarn. Die um ihre bereits erreichte Stellung bedachten Herzöge ziehen deshalb bei der nächsten 911 anstehenden Königswahl einem weiteren Karolinger lieber einen aus ihrer Mitte vor und wählen, auch aus einem gewissen mittlerweile entstandenem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus, den Nichtkarolinger Konrad I. zum König. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem eigenständigen Reich, in dem das Herzogtum Sachsen eine wichtige Rolle spielt.
Herzog Otto der Erlauchte stirbt 912. Da die beiden älteren Söhne Herzog Ottos vorverstorben sind, folgt ihm als Herzog von Sachsen sein Sohn Heinrich. Als der Konradiner König Konrad I. 919 stirbt, wird der Sachsenherzog als Heinrich I. auf dem Reichstag von Fritzlar zum neuen König des Ostfränkischen Reiches gewählt. Eigentlich hätte Heinrich I. als König das Herzogtum Sachsen nicht auch noch behalten dürfen. Seine Machtbasis ist aber vermutlich zu schmal, um es aus der Hand zu geben. Er beauftragt daher enge Vertraute und Verwandte, als Legaten Aufgaben innerhalb Sachsens zu erfüllen. Wichtigster Legat ist dabei Graf Siegfried von Merseburg, der als zweiter nach dem König gilt und dem in der Abwesenheit des Königs Sachsen anvertraut wird.
Heinrich I. ist in zweiter Ehe mit Mathilde, aus der Nachkommenschaft des westfälischen Herzogs Widukind, verheiratet. Aus dieser Ehe wird 912 als ältester Sohn Otto geboren. 929 wird dieser von seinem Vater unter Verdrängung des älteren Halbbruders Thankmar zum Thronfolger bestimmt. Kurz nach dem Tod des Vaters wird Otto I. 936 zum deutschen König gewählt. In Sachsen folgt Otto I. (später Otto der Große genannt) der Politik seines Vaters und belehnt keinen eigenen Herzog damit. 938 ernennt er Hermann Billung zum "Statthalter". Die Hofkanzlei vermeidet ganz offensichtlich die Bezeichnung "Herzog".
Otto der Große setzt während der ersten Hälfte seiner langen Herrschaftszeit die Unteilbarkeit des Königtums, seine Entscheidungsgewalt in der Nachfolgefrage und einen Wandel der alten Machtstruktur durch. Mit einer geschickten Heirats- und Personalpolitik besetzt er alle deutschen Herzogtümer mit seinen Verwandten und greift damit tief in das bestehende Herrschaftsgefüge des ostfränkischen Adels ein. Auch aus den Aufständen, in denen sich die Erbberechtigten gegen die Konkurrenz später geborener Kinder wehren, geht Otto d.Gr. als Sieger hervor. Die Herzöge, die vormals nahezu gleichwertige Vertreter der Stämme waren, werden nunmehr zu königlichen Amtsträgern. Selbst die Reichskirche, als wesentliche Machtbasis, wird der Kontrolle des Königs unterworfen.
Durch seinen Sieg 955 über die Ungarn auf dem Lechfeld (bei Augsburg) enden nicht nur deren Invasionen, sondern auch die zahlreichen Erhebungen gegen den König im Innern des Reiches. Zudem erlangt Otto den Nimbus eines Retters der Christenheit, weil ihm danach noch ein Sieg über die Slawen gelingt.
Im Jahr 961 bereitet sich Otto d.Gr. auf eine Heerfahrt gegen Oberitalien und Rom vor. Vorsorglich hat er auch seinen siebenjährigen Sohn Otto II. zum Mitregenten gekrönt. Siegreich zieht er in Rom ein. Unter Rückgriff auf die Kaiseridee Karls des Großen läßt er sich 962 von Papst Johannes XII. in Rom zum römisch-deutschen Kaiser krönen. Dies ist die Geburt des "Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation".
Otto II. wird 967 auch zum Mitkaiser erhoben. Im März 973 stirbt zunächst der sächsische Statthalter Hermann Billung und im Mai 973 Kaiser Otto I., wodurch Otto II. zum Herrscher im Reich und in Sachsen wird. Seine Machtstellung ist nicht unangefochten. Oft in Italien weilend und mit einer Ausländerin verheiratet, hat Otto II. nördlich der Alpen nicht den Rückhalt wie seiner Vater. Er konnte deshalb Bernhard I., dem ältesten Sohn Hermann Billungs, die Stellung als Sachsenherzog weder verweigern noch beschneiden.
Durch die rasche Todesfolge der Ottonen wird die Stellung des Sachsenherzogs weiter gestärkt. Otto II. stirbt 983 in Rom. Sein Sohn Otto III. folgt schon 1002 seinem Vater in den Tod. Heinrich II. muss den Sachsen zu Händen ihres Herzogs erst ihre alten Rechte zusichern, bevor sie ihn zum König wählen. Die Epoche der Kaiser aus dem Hause der Liudolfinger endet mit dem Tod Heinrichs II. 1024. Unter ihrer Regentschaft lag der politische und kulturelle Schwerpunkt des deutschen Reiches im Herzogtum Sachsen.
Diese Vormachtstellung wird endgültig nach der Achtserklärung Herzog Heinrichs des Löwen im Jahr 1180 beendet. Wegen dessen uneinsichtiger Weigerung, Kaiser Friedrich Barbarossa pflichtgemäß Heerfolge nach Italien zu leisten, zerschlägt der deutsche Imperator zur Strafe das alte Stammesherzogtum.
Alle ansässigen Fürsten und Bischöfe mit bisher unterrangig belehnten Gebieten werden für reichsunmittelbar erklärt, d.h. sie haben von nun an selbst und direkt die Aufgaben und Pflichten gegenüber dem Kaiser zu übernehmen. So entstehen auf dem Territorium des aufgelösten Herzogtums selbständige Herrschaftsgebiete. Der Herzogstitel fällt dem Geschlecht der Askanier an der Elbe zu.
Das Gebiet des Herzogtums Sachsen wird um seinen gesamten Westteil Westfalen geschmälert, welches von nun an den Erzbischöfen von Köln als oberster Instanz allein untersteht. Der weltliche Territorialadel hat sich erstmalig einem klerikalen Willen vollends unterzuordnen. Dies führt zu erheblichen Spannungen, die sich immer wieder in lokalen, kriegerischen Auseinandersetzungen und Aufständen entladen.