Die Geschichte unserer Region - Teil 7

Landleben und Stadtluft

Die Grundzüge des Mittelalters sind eine nach Ständen geordnete Gesellschaft und eine gläubige Geisteshaltung mit Latein als gemeinsamer Bildungssprache. Daneben ist das geozentrische Weltbild mit der Erde als Mittelpunkt bezeichnend für diese Epoche. Der Feudalismus und das Lehnswesen bestimmen das tägliche Leben. Es ist die Blütezeit des Rittertums, das sich aus der Umstellung des alten fränkischen Gelegenheitsheeres zum zeitgemäßeren stehenden Reiterheer und des sich daraus folgenden begüterten Berufskriegerstandes bildet.

Im Heiligen Römische Reich deutscher Nation gibt es kein festes Machtzentrum. Der Kaiser zieht mit einem Gefolge durch das Reich und verweilt für unbestimmte Zeit auf einer seiner Burgen oder Pfalzen, um seinen Regierungsverpflichtungen nachzukommen. Zur Durchsetzung seiner Macht belehnt er den ihm untergebenen Adel und den diesem gleichgestellten Klerus mit Territorien. Dem Kaiser obliegt es, jederzeit Änderungen an den vorhandenen Strukturen vorzunehmen. Er kann den Lehnsherrn auswechseln, dessen adligen Rang bestimmen oder ihm gewisse Rechte zuteilen.

Die kaisertreuen "Ministerialen" betrauen wiederum Mitglieder des niedrigen Adels als "Burgmannen" mit den Verwaltungsaufgaben von Grundherrn. Diese residieren in über das ganze Land verteilten "Motten", kleinen Burganlagen mit Wassergräben, aus deren Wirtschaftsteilen in späterer Zeit die Gutshöfe entstehen. Die lokale Häufung von Turmhügelburgen in der Grafschaft Mark spricht für diese Form einer vasallischen Präsenzpflicht. Die Anlagen dienen den im Umkreis lebenden Menschen auch als Zufluchtsort bei drohender Gefahr.

90% der Bevölkerung lebt, von der Kirche als so "gottgewollt" bezeichnet, auf dem Lande und in Leibeigenschaft. Die Natur ernährt zwar, sie ist aber noch keineswegs beherrschbar. Missernten haben katastrophale Folgen, da der Anbau zum großen Teil den Eigenbedarf deckt. Besonders die sozial niedrigen Schichten treibt der Hunger in solchen Zeiten scharenweise bettelnd durch das Land.
Die Wohnungen sind meist zugige Holzhütten. Dichtgedrängt hockt man um den offenen Herd. Das Licht fällt durch die Eingangstür oder durch die Rauchluke des Daches. Sind Fensteröffnungen vorhanden, so werden sie mit hölzernen Rahmen, die in geöltes Papier gespannt sind, zugestellt oder mit Stroh zugestopft. Das Stroh dient auch als dämmende Unterlage auf dem gestampften Lehmboden.
Eine bäuerliche Wirtschaftseinheit aus Haus, Hof, Acker- und Wiesenfläche wird als "Hufe" bezeichnet. Der Hufner (= Bauer) hat seinem Grundherren für die Nutzung von Grund und Boden regelmäßig bestimmte Erträge als Grundzins zu entrichten und muß in der Regel an drei Tagen in der Woche sogenannte Frondienste leisten. Jede Hufe ist außer mit dem Grundzins noch mit dem "Zehnt" belastet. Die Pflicht dazu wird bereits im Frankenreich gesetzlich eingeführt. Sie stellt eine erwartete Ertragsquote in der Höhe des zehnten Teiles der Getreideernte dar. Neben diesem gibt es noch den, der von Obst und Gemüse gefordert wird, und den "Fleisch- oder Blutzehnt" auf Schlachtvieh. Die einzelnen Abgaben sind zu festen Terminen fällig. Darüberhinaus sind noch der Weidezins, der Kopfzins, die Abgabe bei Heirat, Umzug oder im Sterbefall fällig, kurzum Gebühren der örtlichen Verwaltung.

Seit dem 12. Jh. entwickeln die souveränen Territorien des Reiches immer mehr Macht. Die Bevölkerung wächst, Handwerk und Handel werden gefördert und auch die Bildung ist nun nicht länger ausschließlich ein Privileg des Klerus. Es bildet sich aus den Unfreien auf dem Lande allmählich eine neue Bevölkerungsschicht, der Stand der Bürger, heraus. In dieser Zeit werden von den Landesherrn planmäßig Städte angelegt und gegründet. Als "Bürger" können die ehemaligen Unfreien ein Grundstückin freier erblicher Leihe erhalten und sind zu keinen Frondiensten verpflichtet. Außerdem dürfen sie selbst über ihr Vermögen und Erbe verfügen und besitzen das Freizügigkeitsrecht. "Die Stadtluft macht frei" heißt es, und lockt viele in die Städte. Wenn sie nicht innerhalb eines Jahres und eines Tages von ihren ehemaligen Grundherrn zurückgefordert werden, können sie als freie Bürger für immer dort leben.

Obwohl alle Bürger die gleichen Rechte besitzen, stellt auch die Stadtbevölkerung keinen einheitlichen Stand dar. Fast überall bildet sich schon recht früh eine dünne Oberschicht heraus, die einen entscheidenden Einfluß auf die städtische Politik und Verwaltung nimmt. Zu dieser Oberschicht zählen die Ministerialen des Landesherrn, Kaufleute, Schneider, reiche Grundbesitzer und einige vermögende Gewerbetreibende. Sie zusammen sind das "Patriziat", dessen Angehörige letztlich allein die wichtigsten politischen Positionen wie das Bürgermeisteramt oder den Rat besetzen. Ab dem 13. Jh. ist es nahezu aussichtslos, Einlaß in diesen elitären und alteingesessenen Kreis zu erhalten. Die Patrizier beziehen die höchsten Einkommen und können ihren Kindern die beste Ausbildung ermöglichen. Gegen Ende des 15. Jh. sind eheliche Verbindungen mit dem verarmenden Landadel, der Titel wegen, sehr beliebt. Viele Patrizier versuchen den Lebensstil der Adligen nachzuahmen. Die Rangordnung, von Gott gegeben, wird sehr wichtig genommen, denn es werden sogar Prozesse darüber geführt, wer bei welcher Gelegenheit wem den Vortritt oder Vorsitz zu überlassen hat.
Die städtische Mittelschicht setzt sich aus den Freiberuflern wie Handwerkern, Kleinhändlern, Brauern, Fuhrunternehmern, städtischen Angestellten, Ärzten, Apothekern und wohlhabenden Ackerbürgern zusammen. Ein "Ackerbürger" lebt von einer gepachteten Landwirtschaft innerhalb der städtischen Feldmark. Reicht die Bewirtschaftung für den Lebensunterhalt nicht aus, betreibt er häufig ein handwerkliches Nebengewerbe. Die vielen Ackerbürgerstädte der Grafschaft Mark zeugen davon, daß die Gemeinwesen dort weniger durch Handel und Gewerbe geprägt sind. Deshalb genießt ein Ackerbürger einen höheren Stellenwert. Es gibt zahlreiche Märkte für landwirtschaftliche Produkte.
Zur städtischen Unterschicht, die 40-60% der Einwohner ausmacht, zählen arme Handwerksmeister, Kleinkaufleute und die Masse der beruflich Unselbständigen, freie Tagelöhner und Hilfsarbeiter, Tor- und Nachtwächter, Dienerschaft und Gesinde. In einer weiteren Randgruppe befinden sich die Personen, die wegen ihres Berufes, ihrer Religion und aus anderen Gründen am Rande der Gesellschaft stehen, wie Henker und Totengräber, Müller, Töpfer, Schäfer oder Dirnen.

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